Tag des Donners
Immer im Mai veranstaltet das Technikmuseum Speyer seinen „Brazzeltag“, was übersetzt soviel bedeutet wie „der Tag, an dem Kraftstoff in Lautstärke umgewandelt wird“.
Nun wohnen ja zwei Seelen in meiner Brust: Einerseits bin ich irgendwo auch ein (milder) „Petrolhead“, denn Motoren faszinieren mich schon einigermaßen. Nicht so sehr die überzüchteten Hochdreher der Formel 1 oder kreischende Motorradtriebwerke. Mein Motto ist da eher: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen – abgesehen von mehr Hubraum. Da müssen die Umdrehungen nicht unbedingt mitkommen. Turbos als Begleitinstrument sind aber durchaus willkommen.
Andererseits sehe ich selbstverständlich die Nachteile der Verbrenner und es sollte nun auch irgendwann dem Letzten klar werden, dass nichts ewig hält und das Bessere am Ende immer der Feind des Guten sein wird. Vermutlich ist das auch jedem klar. Nur dass diese Erkenntnis bei manchen halt irgendwie auch eine Trotzreaktion auslöst. Vielleicht ist das ja nichts Neues und es hat eventuell auch bei Erscheinen des Automobils eine Welle von Käufen unnötig riesiger Kutschen gegeben, die von gewaltigen Kaltblütern gezogen wurden, mit ausufernden Hinterteilen und breiten Hufen. So funktionieren Menschen eben.
Und weil eben jeder Mensch einen kleinen Unzurechnungsfähigen mit sich herumträgt, kann man auch mich mit Kraftentfaltung verheißendem Lärm erfreuen. Ein fetter Diesel, der brüllend dafür sorgt, dass tonnenschwere Gefährte sich scheinbar mühelos in Bewegung setzen, ist für mein inneres Kleinkind ein Fest. Obwohl ich weiß: Das ist eigentlich nicht gut für uns. Aber hat es einen Dreijährigen je interessiert, ob etwas gut für ihn ist?
Seenotkreuzer sind immerhin für den bestmöglichen Zweck unterwegs. Also erfüllen sie die Bedingungen für Gänsehaut bei mir in jeder Hinsicht spielend. Die BERLIN und ihre Geschwister werden von zwei MTU 16V 2000 M72 Motoren nachdrücklich angeschoben, jeder von ihnen 4,6 Tonnen schwer und mit insgesamt 35 Litern Hubraum, verteilt auf 16 Zylinder. Höchstleistung pro Stück 1930 PS bei 2250 Umdrehungen pro Minute. Genau mein Motor. Keine Hektik, dafür ordentlich Bums aus dem Drehzahlkeller.
Nach wie vor träume ich davon, die BERLIN endlich mal live zu erleben. Die Chancen dafür stehen aber momentan mehr als besch…eiden.
Was das alles mit Speyer zu tun hat? Diese sympathische Pfälzer Domstadt ist nur schlappe 75 Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Und hat ein Technikmuseum, das im Mai – wie erwähnt – einen Brazzeltag ausrichtet.
Was es auch noch hat: Einen Seenotkreuzer. Den letzten Überlebenden der 44m-Klasse von 1975, die John T. Essberger. Die Schwesterschiffe Wilhelm Kaisen und Hermann Ritter sind schon in den ewigen Seegründen angekommen, während die Essberger seit 2011 hoch und trocken wie ein Modellschiff (und so spektakulär wie es bei den Technikmuseen Speyer und Sinsheim üblich ist) über dem Museumsaußengelände thront.

Wie allen Exponaten im Außengelände ist ihr mittlerweile die Standzeit im Freien deutlich anzumerken. Aber auch wenn das Makeup blättert, umweht die große alte Dame der 70er-Jahre-SRKs doch immer noch eine Aura vergangener Ruhmestaten. Und sie stammt auch noch aus dem letzten Aufbegehren einer Zeit, in der man selbst Zweckbauten eine nonchalante Prise Ästhetik mit auf den Weg gegeben hat – ein elegant-kühner Schwung läuft über die Seiten ihres Brückenaufbaues, der eher nach 1955 als in das Jahr 1975 weist. Steht ihr aber ausgezeichnet.





Das Besondere: In dem alten Mädchen ist noch mehr Leben als gedacht! Ursprünglich war ja geplant, dass sie ihre letzte Fahrt bis in den Speyerer Naturhafen mit eigener Kraft antreten sollte. Das hätte ohne weiteres funktioniert, wenn nicht – ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt – der Rhein unter derartigem Niedrigwasser gelitten hätte, dass man gezwungen war, ab Duisburg auf eine Barge zu wechseln.
Die Maschinen der Essberger sind aber nichts desto trotz noch immer lauffähig, auch nach fast 15 Jahren auf dem Trockenen. Eine illustre Truppe ehemaliger und noch im Dienst befindlicher DGzRS-Leute nimmt immer wieder den langen Weg auf sich, um die drei dicken Diesel am Leben zu halten. Zweimal im Jahr müssen die Maschinen laufen, um sich nicht kaputtzustehen. Einmal im Mai (zum Brazzeltag) und einmal in Oktober.
Für mich die Gelegenheit, nicht nur einen Besuch bei der Essberger zu machen, sondern auch die Kraft der drei Herzen direkt zu spüren. Die alten Hasen lassen zu jeder vollen Stunde die Diesel sprechen und mit etwas Glück (und einem sehr netten Plausch mit „Giovanni“ Moritz) steht dann der ungläubige Förderer (ich) mitten zwischen drei großartigen Erzeugnissen handfesten Maschinenbaues: Die Seitenmaschinen sind zwei MTU 12V331TC81, sozusagen die Großväter der Maschinen der 28-m-Klasse, mit je 1350 PS Maximalleistung (1125 im Dauerbetrieb) und die Hauptmaschine, obgleich schon mit dem MTU-Label versehen, ist eigentlich ein Maybach-Motor. Jetzt getarnt als MTU 20V538TB91 mit 20 Zylindern, leistet der eher unscheinbare Kraftklops in der Mitte des Maschinenraumes 4500 bzw. 3750 PS (Höchst-/Dauerleistung). Macht zusammen maximal 7200 PS.
Und so sieht so was aus (und hört es sich an…):
Ja, für mich hat die Erde gebebt…